Mitten in der Stadt gute Nachrichten vom Baum – das ist zumindest eine ungewöhnliche Idee. Wie es dazu kam und was das soll: Susanne Karmeier über das Projekt „Open Air – Gute Nachrichten vom blauen Planeten“.

Wie ist die Idee zu dem Projekt „Open Air“ entstanden?
Im Frühsommer 2018 saß ich mit einer Freundin in der Stadt zusammen. Der Himmel war blau. Die Sonne schien. Wir hatten Zeit. Ein guter Moment. Aber unsere Stimmung war bedeckt. Ich sag´s mal mit Schlagworten: Das Flüchtlingselend an den Grenzen Europas, die Politik der Abschottung, überall aufflammende Kriegs- und Krisenherde, die sichtbare Armut auf Dortmunds Straßen, das Erstarken rechtspopulistischer Parteien auf der ganzen Welt, der „angefasste“ soziale Friede lagen uns auf der Seele. Und dann noch das Klima. Was für eine Erde hinterlassen wir den nach uns kommenden Generationen? Wir fühlten uns ziemlich machtlos: Was können wir schon bewegen? „Alles wird immer schlimmer“ oder „Früher war alles besser“ habe ich von anderen in den letzten Jahren häufig gehört – wütend, mutlos, resigniert oder wehmütig. Auf einmal klang ich fast selbst so. Geht gar nicht!
Dann fiel mir ein Krimi von Fred Vargas in die Hände. „Fliehe weit und schnell.“ Passte zur Stimmung. Im Mittelpunkt steht ein arbeitsloser Seemann, der in Paris strandet. Am Tiefpunkt angelangt, erscheint ihm am Tresen einer Kneipe sein Ururgroßvater und schlägt ihm vor, den veralteten Beruf eines Ausrufers zu ergreifen. Der Seemann folgt diesem Rat, beginnt in einer Kiste Nachrichten von Menschen in seinem „Kiez“ zu sammeln und ruft sie zweimal am Tag gegen einen frei zu wählenden Betrag am immer gleichen Ort zur immer gleichen Zeit aus. Und wird zum Publikumsmagneten auf einem Marktplatz in seinem Arrondissement. Davon kann er dann fabelhaft leben. In dem Krimi bekommt das natürlich eine unheilvolle Dynamik. Der Mörder nutzt die Gelegenheit, um seine Morde anzukündigen.
Aber in mir war eine fixe Idee entstanden: Könnte es nicht auch in Dortmund einen Ort und eine Kiste geben, wo – in diesem Fall – nur gute Nachrichten gesucht, gesammelt und hinterlassen werden: Geschichten von Zukunftsträchtigem, von dem, was gut läuft, Trotzdem- und Dennoch-Erfahrungen„im Kleinen und im Großen“. Und dann müsste es auch jemanden geben, der etwas davon mitten in der Stadt, im öffentlichen Raum draußen vor der Kirche unter die Leute bringt, eben wie früher „analog“ ausruft, milieuübergreifend. Nach dem Motto: „Die Welt ist zum verändern da, nicht zum Ertragen.“ (Harald Welzer) Hört, was möglich ist. Und: Es gibt viel Gutes zu entdecken.
Und wie ging es dann weiter?
„Wer sucht, der findet“. Steht schon in der Bibel. Also – womit wir rechnen, das beginnen wir zu sehen und wahrzunehmen. So ist es mir jedenfalls ergangen – sowohl mit Menschen, die sich am Projekt beteiligen, als auch mit dem Aufspüren von Guten Nachrichten. Auf einmal las und hörte ich noch mal anders. Mir begegneten überall inspirierende Projekte, „Graswurzel-Initiativen“, Start-ups, die etwas bewegen. Leute, die sich – beharrlich, oft eher leise – für eine lebendige politische Kultur, für ein gutes Miteinander, für nachhaltige Lösungen bei Essen und Bauen und Müllvermeidung, für Klarheit im Denken über Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit engagieren. Einige von denen kannte ich natürlich auch vorher. Aber irgendwie entwickelten sich noch mal neue Sensoren.
Ich habe ehrlich gesagt erst da begonnen, den konstruktiven Journalismus wirklich zu entdecken. „Gute-Nachrichten-Portale“ taten sich auf meinem Bildschirm auf. Die Blogs perspective-daily, ipgd, futurzwei, die krautreporter sind wahre Fundgruben für konstruktive Berichterstattung. Das Magazin Chrismon veröffentlicht mit diesem Anliegen regelmäßig Artikel. EPD postet jeden Tag eine gute Nachricht. Hans Roslings Buch „Factfulness“ fiel mir in die Hände, Walter Wüllenwebers „Frohe Botschaft. Es steht nicht gut um die Menschheit, aber besser als jemals zuvor“ und später dann Harald Welzers „Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“. Auch im Fernsehen schien sich die Berichterstattung – wenn auch noch zu eher abseitigen Zeiten – zu verändern.
Jedenfalls wandelte sich damit meine Gestimmtheit und meine Sicht auf die Welt. Ich habe anderen von meiner Idee erzählt. Viele haben mich bestärkt, so eine „Ausrufer-Aktion“ auszuprobieren. Und dann hörte ich in einer Sitzung der Projektleitung „Wunderkirche St. Reinoldi beim Kirchentag“ von dem Kirchentagspräsidenten Hans Leyendecker, dass Dortmund im Juni 2019 zum Ort von guten Nachrichten werden soll. So ging die Planung von „Open Air“ an St. Reinoldi los.
Wieso brauchen wir gute Nachrichten?
Wir brauchen gute Nachrichten, weil es sie gibt. Auf unserem blauen Planeten passieren ja nicht nur fürchterliche, erschreckende und besorgniserregende Dinge. Darüber muss natürlich berichtet und wir informiert werden. Aber es gibt genauso auch Gutes, Geglücktes, Schönes und Not-wendiges. Es wird viel erforscht, versucht, entwickelt und getan, um die Welt besser zu machen und Problemen zu begegnen. Das gehört doch zu einer vollständigen Berichterstattung, die eben das ganze in den Blick nimmt, dazu.
Nur dass „good news“ es viel schwerer haben als „bad news“. Das kennen wir ja von uns selbst: Es können viele begeistert sein. Aber einer meckert oder hat Einwände. Und der beschäftigt uns und bleibt im Gedächtnis. Neurowissenschaftlich ist längst erwiesen: Unglücksbotschaften erregen viel leichter und schneller unsere Aufmerksamkeit und wirken tiefer und länger in uns nach als Meldungen vom Guten. Da schlägt uns unsere menschliche Psyche ein gemeines Schnippchen – auch evolutionär bedingt. Wir sind immer noch „Fluchttiere“, scannen unsere Umgebung immer auch daraufhin ab, was uns bedrohen könnten, merken bei Warnsignalen und Unglücksberichten sofort auf – aus Angst um das eigene Glück, aus Sorge um das erlebte und erwünschte (eigene) Gute. Und scheinbar haben wir darüber hinaus eine eigentümliche Faszination für Horrorgeschichten. Nicht umsonst, eben Quoten orientiert, setzen die öffentlichen Sender überproportional auf das Genre Krimi mit Mord- und Totschlag und seinen düsteren Geschichten.
Jedenfalls ist das ein Grund, warum in so vielen Nachrichtenkanälen, auch bei Social Media, Negativberichterstattungen so erfolgreich sind und wir viel mehr von Pleiten, Pech und Pannen, von Peinlichkeiten, Misserfolgen, Skandalen, Gewalt, Konflikten, Krisen und Katastrophen erfahren. Schlechte Nachrichten verkaufen sich eben besser als gute. Wir können uns ja mal selbst überprüfen, was unsere Aufmerksamkeit am ehesten bindet, worauf wir „anspringen“, was wir im Netz spontan anklicken, woran wir hängen bleiben. Und also hören wir mehr davon und Hiobsbotschaften sind weiter verbreitet.
Das prägt unsere Sicht auf die Realität und unsere Gemütslagen. Seit Jahren bestätigen internationale Studien: Immer mehr Menschen haben eine pessimistische Vorstellung vom Zustand der Welt. Ich will mich da gar nicht ausnehmen. Das Ende vom Lied: Wir sehen schwarz. Weltuntergangsstimmung und Apokalypsedenken boomen längst wieder. Wir fühlen uns hilflos, bekommen Angst, werden engsichtig. Manche reagieren zynisch und herzlos. Andere „stecken den Kopf in den Sand“, ziehen sich auf ihre kleine, private Scholle zurück, versuchen wenigstens die zu bewahren und drehen sich nur noch um sich selbst. Die verheerenden persönlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen lassen sich allerorten beobachten.
Mit den guten Nachrichten vom blauen Planeten wollen wir dem etwas entgegen setzen. Wollen die Flut der schlechten Nachrichten mit Meldungen vom Guten ergänzen, den Blick auf das Gelungene und „positive“ Entwicklungen und Neuigkeiten lenken, wo not-wendig und vorhanden Alternativen aufzeigen, Lösungsvorschläge und -strategien bekannt machen, also unseren Horizont wieder weiten.
Gute Nachrichten verändern ja genauso wie schlecht. Wir schöpfen Hoffnung, wenn uns Geschichten von Gelingen, von konstruktivem Tun, von positiven Entwicklungen, auch von erfolgreichem Widerstand begegnen, also wenn wir „Gutes“ und vom „Guten“ erfahren. Das rückt ein allzu düsteres Bild von der Welt zurecht, inspiriert, gibt Auftrieb, hat auch Vorbildcharakter. „Best practice“ ist ansteckend, ermutigt, den Kopf nicht hängen zu lassen, macht Lust, mitzumachen und selbst etwas vom Bestmöglichen zu versuchen. Bei mir jedenfalls ist das so. Darum brauchen wir gute Nachrichten.
Ist doch schade und fatal, wenn keiner mitkriegt, was gut läuft! Außerdem gibt es wirklich überraschende und kuriose Dinge, die sich manche ausdenken, um ein glückliches und bedeutungsvolles Leben zu führen. Davon was zu erfahren, ist ein echtes Vergnügen. Bei einigem geht mir regelrecht das Herz auf. Und manches macht richtig „mit-glücklich“. Das möchten wir mit anderen teilen.
Was haben Kirche und gute Nachrichten miteinander zu tun? Warum „braucht“ es ein solches Projekt an St. Reinoldi?
Freude am Leben haben, ein wenig „glück-selig“ werden, Hoffnung schöpfen, auf gute Zukunft hinleben, das Sinnvolle und Hilfreiche im Jetzt erkennen – das müsste doch eigentlich gerade in die Kirchen gehören bzw. von ihnen verbreitet werden. Christlicher Glaube und Gute Nachrichten können jedenfalls meines Erachtens gar nicht eng genug zusammengehören. Evangelium – das heißt aus dem Griechischen übersetzt nichts anderes als gute Nachricht, frohe Botschaft: Gott liebt uns, unsere Welt, alles Leben und Gelingen. Und gibt nicht auf – nichts und niemanden und nie. Ich lebe und ihr sollt auch leben, sagt Jesus im Johannesevangelium. Unglück und Unheil sind nicht das Ende der Fahnenstange.
Das ist ein großer Glaube. Und kann viel bewirken, berichtet schon die Bibel. Buch um Buch, Seite um Seite erzählt sie von Menschen, die Mut schöpfen, die neu anfangen, aufbrechen in ein neues Leben, die verwandelt werden, auch umkehren, widerständig sind gegenüber dem, was Leben bedroht und gefährdet. Das Buch der Bücher ist voller Erfahrungen von Wundern und Heilwerden – wo Menschen sich aufrichten lassen, anders weitergehen und auch andere mit-aufrichten. In und zwischen den vielen Zeilen wird eine Kraft, eine Lebensenergie spürbar, die herausruft, das Gute zu sehen, dem zu vertrauen und dann selbst Schönes und Heilsames tun oder etwas vom Gegenteil lassen können.
Das Hören und Lesen dieser guten Nachricht hat Menschen durch die Zeiten hindurch ermutigt, sich mit Vertrauen, oft auch mit Zittern und Zagen beherzt in ihre Welt und den Weltenlauf einzubringen, mit sich selbst, anderen und der Welt verantwortungsvoll, achtsam und liebevoll umzugehen. Ich nenne das – von Gott her und auf sie hin, auf eine Welt, wie sie ihm gefällt und uns gut tut, hinzuleben. So sind immer wieder neue, gute Nachrichten entstanden. Mit dem „Open-Air-Projekt“ suchen wir Meldungen, Spuren, Neuigkeiten aus dem Hier und Jetzt und von Heute.
„Redet freundlich mit den Menschen. Habt, wo es nötig ist, für andere ein gutes Wort, das weiterhilft und denen wohl tut, die es hören“. Steht auch in der Bibel. Wo also wären „good und hope news“ besser angesiedelt als in der Kirche? Die Reinoldikirche als „Umschlagplatz“ dafür, finde ich hervorragend geeignet. Reinoldi liegt mitten in der Stadt, ist täglich geöffnet, war schon immer und ist noch heute für viele die Kirche in Dortmund, in die sie kommen mit ihren Sorgen und Nöten, in Unglücksituationen, genauso wie mit ihren Lebensfreuden, Hoffnungen und Dankbarkeiten für das, was gelungen oder noch mal gut gegangen ist. Es gehört zu unserem Konzept von Stadtkirchenarbeit, diesen Raum für alle offen zu halten. Wir verstehen sie als einen Ort, an dem sich jeder und jede einbringen kann, an dem wir als Teil der Stadtgesellschaft und mit ihr ins Gespräch, in einen Austausch kommen wollen: erkennen, was war, verstehen, was ist, fragen und herausfinden, woraus kommt Hoffnung und gute Perspektive. Entsprechend ist Open Air ein Mitmachprojekt, bei dem alle mitmachen können – jenseits von Konfessions-, Religionszugehörigkeit, mit und ohne Glauben. Alle sollen sich mit ihren guten Ideen und Erfahrungen – selbst erlebt oder woanders gehört – beteiligen können. Ich kenne viele, die mit Kirche überhaupt nichts „am Hut“ haben oder einer ganz anderen Religion angehören. Und trotzdem gibt es ein gemeinsames Leiden an Unrecht und Unglück, gemeinsame Ziele, Visionen, Wünsche und Träume und das Anliegen und die Bereitschaft, etwas davon zu gemeinsam zu leben, uns darin zu verbünden. Wenn die Reinoldikirche auch durch das Open-Air-Projekt dafür Austauschort wird, wäre mir das ein Vergnügen.
Die Menschheit steht vor großen Problemen. Nur Gute Nachrichten vermelden – ist das nicht Schönmalerei und irgendwie auch ein bisschen naiv?
Es gibt einen eigentümlichen Vorbehalt – nicht nur in der Branche der Journalist*innen – gegenüber der Entwicklung von „Gute- Nachrichten-Berichterstattung“. Mir ist das nicht fremd. Ich habe mich beim Lesen von Roslings und Wüllenwebers Buch selbst ziemlich ertappt gefühlt. Walter Wüllenweber schreibt gleich zu Beginn über politisch interessierte, lesende Altbaubewohner*innen, zu deren Weltsicht eine gewisse Form des „Immerschlimmerismus“ zu gehören scheint. Wer positiv oder optimistisch daher kommt, gilt eher als naiv, redet sich die Welt schön. Verallgemeinerungen helfen natürlich nie. Aber mir hat das zu denken gegeben. Ein paar gute Nachrichten mehr, wenn sie denn wahr sind, können m.E. nicht schaden.
Außerdem: Unser Plan ist nicht, Wellnessbotschaften zu verkünden, um sich dann beruhigt zurück zu lehnen und besser zu fühlen. Das, was wir im Blick haben und als Redaktionsteam selbst recherchieren, spart die Not, Missstände und Schräglagen in unserem Leben und in der Welt nicht aus. Sie setzen oft da an, nehmen die in Blick, die daran leiden. Wenn wir uns zum Beispiel daran freuen, wie erfinderisch manche sind, um nachhaltig zu leben, wie weitherzig und selbstkritisch, um Armut und Ungerechtigkeit zu begegnen, dann heißt das doch zugleich, wir haben das bitter nötig und sind mit dem gegenwärtigen Zustand noch nicht zufrieden. Wir wollen also die Schattenseiten, die es gibt, nicht ausblenden oder ignorieren. Fragen und suchen aber weiter: Warum ist das so? Und wie gehen wir damit um? Wie könnte es weitergehen? Was wäre möglich, um Abhilfe zu schaffen oder etwas zu verbessern? Woraus entstehen gute Perspektiven? Welche sehen andere und was machen sie? Es geht also nicht um Schönmalerei, sondern eher um ein Trotzdem, jetzt erst recht oder geht ja doch irgendwo hier oder auf der Welt. Dem wollen wir Raum und Gehör verschaffen – sofern je 10 Minuten das ermöglichen. Wir profitieren dabei vom konstruktiven Journalismus. Der beschreibt ja auch, was in der Welt schief läuft, forscht nach Gründen und Ursachen und bemüht sich dann Möglichkeiten, Alternativen ins Gespräch zu bringen und so Lösungen für bestehende Probleme zu finden.
Für mich ist auch das eigentlich gut biblisch: Die Bibel ist weit davon entfernt, die Wirklichkeit durch eine rosarote Brille wahrzunehmen. Kommt nicht naiv daher. Die Verfasser sahen eher sehr genau hin, nannten alles beim Namen, fordern heraus, selbst auch alles beim Namen zu nennen – all das Verhindernde und Vernichtende, das uns begegnet und zu dem wir beitragen. Gerade Jesus – und man lese mal die Prophetenbücher des Ersten Testaments – legen die Finger klar und deutlich in die Wunden ihrer Gesellschaft, machen klare Ansagen zu dem, was Unheil bewirkt und ungerecht und tödlich ist. Vieles davon ist hochaktuell. Aber sie bleiben dabei nicht stehen, geben Anregungen für die Fragen, die ich gerade schon gestellt habe, eröffnen den Blick auf Wandel, woher (Ab-)Hilfe kommt und werben darum, das Gute, Zukunftsträchtige, „Weitertragende“ nicht aus den Augen zu verlieren, es zu finden und dem zu folgen. Der Ansatz des konstruktiven Journalismus und die biblische Weise zu erzählen, haben also m.E. einiges miteinander zu tun. Auf der homepage von perspective-daily ist zu lesen: Konstruktiver Journalismus steht für den Glauben, dass sich Dinge zum Guten verändern können, wenn wir uns dafür einsetzen und Lösungen diskutieren. Und das Beste daran: sich gemeinsam mit anderen neugierigen Menschen für eine bessere Zukunft (ich würde ergänzen Gegenwart) einzusetzen, kann auch noch Spaß machen. Das finde ich eine gute Beschreibung für das, was wir möchten und uns wünschen.
„Vom Baum“ soll es aber nicht nur Konstruktives zu bestehenden Problemen geben, sondern auch schlichtweg positive Nachrichten. Weil es die eben – zum Glück – auch gibt und sie zu unserem Leben gehören: Ereignisse, wo etwas einfach gut ist, gelingt und glücklich macht. Ganz persönlich Erlebtes im Privaten, aber auch Fortschritte, gute Entwicklungen in der Menschheitsgeschichte. In manchem, in vielem ist die Welt, in der wir leben, viel besser als wir oft meinen und vermuten. Dazu gibt es eine Menge Statistiken. Hans Rosling aus Schweden hat die schon lange zusammengetragen und verbreitet.
Natürlich kann man einwenden: Ja und? Was hilft´s denen, die zu dem kleineren Prozentsatz derer gehören, die immer noch nicht lesen und schreiben lernen können, die doch verhungern, die trotzdem sterben. „Wenn ein Glied am Körper der Menschheit leidet, leiden alle mit …“. (Wenn es so wär, wär das auch schon eine gute Nachricht). Und trotz so vieler Fortschritte und Erfolge sind gravierende Probleme längst nicht gelöst. Keine positive Statistik kann das Versagen der europäischen Gemeinschaft z.B. angesichts des Flüchtlingselends erklären und als erträglich hinnehmen. Die Friday-for-Future-Bewegung macht ja gerade beeindrucken deutlich, im Hinblick auf das Klima ist es später als 5 vor 12. Ich weiß nicht, ob wir das noch „gedreht“ kriegen. Da gibt es trotz vielfacher Bemühungen nichts gut zu reden.
Trotzdem habe ich mittlerweile meine „Freude“ an manchen Zahlen und unverschämten guten Nachrichten. Sie zeigen doch: Die Welt und wir sind lernfähig, können im Kleinen und im Großen viel verbessern. Spornen also an, in diese Richtung weiter zu leben: Wie können wir gute Entwicklungen – im Rahmen unser Möglichkeiten – jetzt fördern und vorantreiben. Walter Wüllenweber schreibt: „Die guten Nachrichten von den vielen sensationellen Verbesserungen (…) sind die politischste Botschaft unserer Zeit. Nur wenn wir uns die nie da gewesenen Fortschritte, die nachgewiesenen Verbesserungen der vergangenen Jahrzehnte bewusst machen und die Erfolgsmethoden entschlossen verteidigen, haben wir eine Chance, die politischen Herausforderungen zu bestehen. Die frohen Botschaften sind die Antwort auf den Populismus.“ Damit kann ich sehr viel anfangen.
Natürlich gibt es Zustände, Probleme, Widrigkeiten – im Persönlichen und im Gesellschafts-politischen, mit denen müssen wir leben. Die sind unannehmbar und wir müssen sie trotzdem aushalten. Es gibt nicht für alles Lösungen, nicht immer gute, manchmal gar keine. Das zu meinen, wäre tatsächlich naiv. Unsere Welt ist komplex. Das meiste Für hat oft auch ein Wider. Dilemma heißt das in der Ethik. Und wir haben Grenzen, sind begrenzt – auch in unserem Handeln, in dem, was in unserer Hand liegt. Aber vor dieser Grenze ist noch eine Menge Luft nach oben. Das wollen wir in den Blick nehmen. Das setzt eine andere Dynamik frei als nur das Starren aufs Schlechte und ein Verharren im Aussichtslosen. Und es würdigt und achtet, was es an Bemühen und Gelingen schon und auch gibt. Das ist „lebensförderlich oder -dienlich“. Ist auch eine ganz alte christliche Erfahrung:
Es gibt in den Exerzitien von Ignatius von Loyola ein geistliche Übung. Sie nennt sich das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit. Das ist ein Rückblick am Ende eines jeden Tages – für Ignatius die wichtigste Viertelstunde am Tag und im Gebetsleben. Es geht darum, in der Gegenwart Gottes, in seinem liebenden Blick, das, was war und ist Revue passieren zu lassen: Was beschäftigt mich, was macht zu schaffen, was war oder ist nicht gut, ist schmerzlich, bleibt offen, lastet auf der Seele und schürt die Zweifel. UND was war hilfreich, ist gelungen, was mir oder anderen förderlich, hat ermutigt, getröstet, froh gemacht, tat wohl – also auch den Schatz im Acker des eigenen Lebens zu heben, die Goldkörnchen einzusammeln und zu bewahren. Genau das ist das Anliegen und eine schöne Beschreibung für die guten Nachrichten vom blauen Planeten.
Und wem die schlechten Nachrichten fehlen: Der hat ja genügend Stoff und Kanäle, um sich damit reichlich zu versorgen. Die sollen ja nicht abgeschafft oder ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden.
Wie kam es zu dem besonderen Ort im Baum?
Als ich anfing, das Projekt zu planen, hatte ich eine klare Vorstellung: Ich lasse aus einer ausrangierten Kirchenbank ein Podest bauen. Das klemmt sich eine/r unter den Arm, geht so auf einen Platz in der Stadt oder auf den Hellweg, stellt sich drauf und legt los. So wie in dem Buch von Fred Vargas, so wie die Ausrufer, die Tamboure im Mittelalter, die in vielen Städten – vor der Existenz von Nachrichtenblättern – für die mündliche Verbreitung von amtlichen Bekanntmachungen und sonstigen Angelegenheiten zuständig waren.
Dann gab es Anfang März ein Konzeptionstreffen mit dem Regisseur Felix Ritter aus Amsterdam, dem Schauspieler Michael Kamp und sechs journalistisch versierten Menschen, die alle Lust hatten mit zu machen bzw. mit anzudenken. Als erstes haben wir überlegt: Was sind für uns gute Nachrichten? Woran haben wir Freude? Wofür würden wir beim Gang durch Stadt am ehesten stehen bleiben, wovon uns unterbrechen lassen und wie müsste das klingen? Dann sind wir raus vor die Kirchentür und haben erste Versuche vom Ausrufen auf der Erde gestartet. Das passte nicht mehr mit dem zusammen, was wir wollten:
Ebenerdig, trotz Podest wird der Ausrufende nur in den ersten Reihen zu sehen sein, falls tatsächlich mehr stehen bleiben würden. Vor allem aber würde es schwer werden, sich vom Marktgeschrei, vom selbstgewissen Verkaufs- und „Akquiseton“ zu unterscheiden. So ein „klassisches“ Ausrufen klang schnell moralisierend, nach Erteilen von Rat-Schlägen oder lauten Behauptungen und Anweisungen, Aber wir wissen nichts besser. In unserem Kopf waren eher schöne, inspirierende, auch behutsame, Geschichten, die zu Herzen gehen können, etwas frei setzen und frei geben. Wir hörten ganz unterschiedliche Klangfarben und Sprechrhythmen: Einen Wechsel von leisen, feinen Tönen, entspanntem Plaudern, Staunen, vielleicht auch mal frechem, vor allem freundlichem und unaufgeregtem Erzählen. Damit war das Auftreten eines mittelalterlichen Herolds mit Trommel oder Fanfare erledigt.
Wir sind dann etwas ratlos um die Kirche geschlichen – bis Michael Kamp mit Blick auf die Platanen auf dem Hellweg die Idee hatte: Ich kletter auf den Baum. Schien anfangs etwas absurd. Aber wir waren sofort begeistert. Alles Gute kommt von Oben. Das war unsere Lösung.
Diese alte Platane zwischen reinoldiforum und Burger King mit ihren dicken Ästen und ab Frühjahr dichten, grünen Blättern, wie ein bergendes Dach und zugleich transparent, durchlässig für den Himmel: Das ist ein poetischer Ort – gerade richtig für die Atmosphäre, die wir uns wünschen.
Schon Gute Nachrichten vom Baum erzählt – das irritiert, erregt im wahrsten Sinne des Wortes Auf-sehen. Um den Überbringenden sehen zu können, müssen wir unseren Blick heben. Dass Körperhaltungen Einfluss haben auf unsere inneren Haltungen und Gestimmtheiten, ist nichts Neues. Wir gucken anders auf die Welt, wenn wir uns aufrichten und aufschauen. Der Ort bewirkt also von sich aus schon den Perspektivwechsel, um den es uns geht. Zachäus klettert auf einen Baum, zwar nicht, um gehört zu werden, aber um besser sehen zu können.
Was wir zuerst ganz intuitiv entschieden haben, erwies sich letztlich als tragend. Bäume waren schon immer, in allen Kulturen Orte der Begegnung, der Beratung, der Besinnung. Sie sind fest in der Erde verwurzelt und standhaft, streben und wachsen zugleich dem Licht und der Höhe entgegen, weisen zum Himmel. Bieten Schutz, Zuflucht, vermitteln Ruhe und Ehrfurcht vor dem Leben. Vielleicht hatten den Architekten der spätgotischen Kathedralen beim Bau der Gewölbe den Blick von unten in Baumwipfel vor Augen. Bäume sind für – bis heute – wie Kirchen Kraft- oder Energieorte. Erweitern die Sinne. Bieten Raum und öffnen das Gehör für Vogelgezwitscher. Lassen Lauschen auf das Rauschen der Blätter und was der Wind sonst noch zu hören lassen könnte. Sind Orte für Leichtigkeit und erklettern und Beine herunter baumeln lassen. Also insgesamt ein passender Ort, um etwas von dem, was uns inspiriert und glücklich macht, unter offenem Himmel mit anderen zu teilen.
So sind wir auf den Baum gekommen. Und ich bin den Zuständigen der Stadt Dortmund und dem Kirchentag wirklich dankbar, dass sie uns das genehmigt und umsetzen geholfen haben.